☆ Warum unser Gehirn “Storytelling” liebt

Habt ihr euch auch schon einmal gefragt, warum es immer heißt, es lernt sich einfacher, wenn wir uns das, was wir lernen wollen als Geschichten visualisieren? Tuen sich Kinder beispielsweise mit Fremdsprachenvokabeln schwer, können Eselsbrücken hilfreich sein. Das Wort, dass das Kind lernen soll, wird mit dem Gedanken verbunden, das ihm oder ihr dazu einfällt. Warum ist diese Methode oft so erfolgreich?

Unser Gehirn wird nicht selten mit der Funktionsweise eines Computers verglichen. Dabei ist das gar nicht möglich, denn ein Computer speichert rohe Daten in Bits ab. Das ist die kleinste Computereinheit. Ein menschliches Gehirn hingegen arbeitet nicht mit Rohdaten. Unser Kopf merkt sich, anders als ein Computer, nur bereits verarbeitete Daten. Er speichert „Stories“ ab. 

Du fragst nun sicher warum das so ist – schließlich könnte man meinen Rohdaten sind von besserer Qualität, weil sie nicht „interpretiert“ und „analysiert“ und dadurch vielleicht „wahrer“ sind? Das mag alles stimmen, aber unser Gehirn hat schlicht nicht so viel Speicherplatz in unserem Kopf. Die 80 Milliarden Hirnzellen genügen nicht für all die Erlebnisse, Empfindungen, Gefühle und anderen Wahrnehmungen, um sie abzuspeichern. Unser Gehirn hat sich deswegen etwas pfiffiges überlegt und reduziert das Datenvolumen. Das gelingt ihm dadurch, indem es ausschließlich „Stories“ abspeichert. Das ist auch der Grund, weshalb es oft heißt, dass wir mit Geschichten einfacher Neues lernen und behalten können.

Allerdings funktioniert die „echte“ Welt nicht im Format von Story Telling. Unsere Realität hat keine Geschichten und du wirst sie auch nirgendwo finden. Schaue in den Himmel, hinunter ins Gewässer, hinter einen Busch oder sprich mit deinem Hund. Du wirst dort einzelne Elemente finden und wenn du ganz genau und mit Hilfsmitteln dorthin blickst auch die Elementarteilchen, die kleinsten Teilchen dieser Welt. Aber Geschichten wirst du dort nicht entdecken. Geschichten machen wir Menschen aus dem, was um uns herum ist. 

Unser Gehirn liebt es, wenn Geschichten drei Kriterien erfüllen, damit es sich sie besonders gut merken kann: 

  1. Die Stories sollen möglichst kurz sein. Schließlich erfordern diese den geringsten Energieaufwand 
  2. Unser Kopf freut sich auch, wenn die Gescheiten konsistent sind. Tauchen Widersprüche auf, erfordert auch dies Anstrengung 
  3. Schließlich speichert unser Kopf mit Vorfreude die Geschichten ab, die „lückenlos“ sind, dh einem kausalen Verlauf von A bis Z folgen. 

”Kurz, logisch und kausal”. 

Und passt eine Geschichte nicht in den genannten Kriterienkatalog, wird sie gerne entsprechend „umformuliert“. Bestimmte Fakten, die nicht so ganz ins eigene Weltbild passen, werden „umgeformt“ oder „weit interpretiert“. Verhaltensmuster Dritter, die wir nicht nachverfolgen können, verarbeitet unser Gehirn so, dass sie uns schließlich stimmig – „kurz, logisch und kausal“ – erscheinen. Oft sind wir uns dieses Vorgangs gar nicht bewusst. Schauen wir aber achtsam auf unser eigenes Selbstbild, und gehören zur typischen durchschnittlichen Menschengruppe, stellen wir fest, dass „kurz, logisch und kausal“ auch hier nicht selten zutrifft: Die Dinge, die nicht in unser Selbstbild passen, werden beim Erzählen unserer Lebensgeschichte oft ausgelassen. Manchmal füllen wir die Lücken dann mit großem Erfindungsgeist und gestalten so letztlich eine Handlung, die knapp, in sich schlüssig und von A nach B führt. Wir geben unserer Handlung Sinn. Es findet sich für all das, was uns im Leben passiert, Gründe – wenn wir wollen.

Nur die Geschichte, die wir uns somit selbst erzählen, ist nicht die Geschichte, auf der wir ausschließlich unsere Zukunft bauen sollten. Wir verändern uns nämlich mehr als wir denken. Der Mensch, der wir vor zehn Jahren waren, sind wir heute typischerweise nicht mehr. Und das betrifft Charaktereigenschaften genauso wie die Ausrichtung unserer Werte. Problematisch ist aber dass die Geschichte, die wir uns selbst von unserem Leben erzählen, diese Veränderung nur bedingt in Kauf nimmt, da sie oft in der Vergangenheit hängt. Das kann es uns erschweren, neue frische Lebensabzweigungen einzuschlagen, die mehr unserem aktuellen „Ich“ entsprechen. 

Dadurch, dass uns unser Gehirn Geschichten erzählt, fällt es uns schwer, isoliert Fakten zu betrachten. Sofort lädt uns unser Kopf dazu ein, zu interpretieren, auszulegen und den Fakt in das eigene Weltbild einzuspielen. Wir tragen eine Brille bei der Betrachtung nackter Tatsachen, die uns oft daran hindert, einmal zur Seite zu treten und beispielsweise auch aus unseren Fehlern zu lernen und zu wachsen. 

Zudem erscheint uns unser Leben im Rückblick stets viel logischer und noch stringenter als es in Wirklichkeit war. Dabei lassen wir aber einen wesentlichen Aspekt außen vor: den Zufall. Dass es Fortuna in unserem Leben gibt, einen Bereich, den wir nicht steuern und bestimmen können, haben wir im letzten Jahrhundert aus unseren Köpfen bekommen. Bis vor nicht allzu langer Zeit war es allerdings so, dass Krankheiten, Krieg und Tod sowie andere Katastrophen mit genau dieser Begründung großzügigere Akzeptanz als heute in der Bevölkerung gefunden haben. Wir Menschen stellten uns damals auf eben diesen nicht zu beeinflussenden Faktor ein. Wenn uns heute hingegen derartiges ereilt, sprechen wir gerne von einem „Systemversagen“. Dabei vergessen wir doch, dass das Schicksal, der Zufall oder wie auch immer wir diese „Energie“ benennen wollen, einen Platz in unserem Leben haben darf. Wir sind nicht Gott und werden diesen Status auch (hoffentlich) nicht erreichen. Selbst wenn wir hin und wieder die Tendenz haben zu glauben, wir könnten ein endloses Leben schaffen, die ewige Jugend pachten oder auch die Naturgewalten bezwingen. 

Der zuletzt genannte Punkt führt schließlich auch nicht selten dazu, dass wir uns als „toller“ wahrnehmen als wir tatsächlich sind. Self-confirming bias. Wir machen es uns „einfach“ mit uns. Wir sind komplexer, widersprüchlicher und auch unlogischer als wir von uns selbst glauben. 

Summa summarum: 

Wir erzählen uns Geschichten, weil unser Gehirn Stories leichter als Fakten abspeichern kann. Unser Kopf ist eben kein Computer, sondern liebt Interpretationen von Fakten die “kurz, logisch und kausal“ dargeboten werden. 

Hinterfrage deshalb gerne und oft, bleibe auch mal im Zweifel – nicht nur was die Geschichten der Medien betrifft, sondern auch darüber, welche Geschichte du dir selbst von dir erzählst. 

Die Vorgänge in uns sind genauso wie die Weltgeschichte da draussen um einiges komplexer, unlogischer und verworrener als wir oft denken. 

Last but not least: Vergiss den Zufall, Schicksal oder wenn Du magst „Gott“ nicht: es oder er spielt eine größere Rolle als wir aktuell glauben. Und nein, wir können nicht alles im Leben kontrollieren. Schlau kann es deshalb für ein gutes Leben auch sein, den Frieden mit der Ungewissheit und der Nicht-Kontrolle über das Leben zu schließen.

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